Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS oder ADHS, im nachfolgenden vereinfacht immer ADHS) ist eine häufige neurologische Entwicklungsstörung bei Kindern und Erwachsenen. Von allen drogenabhängigen Personen haben 23,1 % ADHS , was zu einem schwereren Verlauf des Substanzmissbrauchs und einer weniger wirksamen Behandlung führen kann. Cannabis ist insgesamt die am häufigsten konsumierte illegale Droge bei ADHS-Patienten. In den letzten Jahren steigen immer mehr dieser Patienten auf legales, medizinisches Cannabis um. Doch die zunehmende Beliebtheit von medizinischem Cannabis hat bei manchen Wissenschaftlern Bedenken hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf die neurokognitiven Funktionen, insbesondere bei Jugendlichen, aufkommen lassen.
Klar ist: Anhaltender Cannabiskonsum kann zu dauerhaften Veränderungen der Gehirnstrukturen und -kreisläufe führen, was bei medizinischem Cannabis, je nach Erkrankung und Umfang, auch gewünscht ist. Es gibt mehrere Studien, die sich mit der Komorbidität, also dem Zusammenspiel aus mehreren Erkrankungen, von ADHS und Suchterkrankungen befassen, wobei der Schwerpunkt auf Cannabiskonsumstörungen lag. Hierbei wurden theoretische Modelle zur Ätiologie von ADHS und Suchterkrankungen überprüft, um einen Rahmen für die Analyse der zugrunde liegenden neurokognitiven Mechanismen zu schaffen. Besonders hervorgehoben wurden in den Studien die Belohnungs- und Motivationsschaltkreise des Gehirns, an denen das sogenannte Default-Mode-Netzwerk und das Endocannabinoid-System beteiligt sind.1
Das “Default-Mode-Netzwerk” ist eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim “Nichtstun” aktiv werden und beim Lösen von Aufgaben deaktiviert sind.
Interessant dabei ist: Die hohe Prävalenz von Suchterkrankungen bei Menschen mit ADHS hat messbare Auswirkungen auf ein früheres Erkrankungsalter und Leistungseinbußen in verschiedenen Bereichen. In den Studien wird aber auch der Mangel an theoretischem Hintergrundwissen über die therapeutischen Eigenschaften von medizinischem Cannabis hervorgehoben und die oft nur spekulative Verwendung bei ADHS-Patienten kritisiert. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das derzeitige Verständnis der Beziehung zwischen ADHS und Cannabiskonsum und unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung und eines vorsichtigen Ansatzes für die therapeutische Anwendung von medizinischem Cannabis bei ADHS.
Was ist ADHS?
ADHS ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die durch Unaufmerksamkeit und Desorganisation gekennzeichnet ist und häufig mit Hyperaktivität oder Impulsivität einhergeht. Diese Schwierigkeiten beeinträchtigen die persönlichen, oft die schulischen und später teils auch die beruflichen Aktivitäten der Betroffenen. Die Störung macht sich in der Regel in frühen Entwicklungsphasen/Jugend bemerkbar und führt zu leichten Verzögerungen in der motorischen, sprachlichen und sozialen Entwicklung. Personen mit ADHS zeigen häufig schlechtere Leistungen bei kognitiven Prozessen wie Aufmerksamkeit, Erinnerungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit.2
Menschen mit ADHS haben oft eine geringe Frustrationstoleranz, Reizbarkeit und Stimmungslabilität. Außerdem bevorzugen sie kleinere, sofortige Belohnungen gegenüber größeren, verzögerten Belohnungen. Diese Abneigung gegen verspätete Belohnungen hängt mit der Impulsivität und einer unüblichen Aktivität in den limbischen Regionen des Gehirns zusammen, die für die emotionale Verarbeitung wichtig sind.3 Diese Nuancen des Belohnungssystems stehen in Zusammenhang mit der emotionalen Verarbeitung und tragen zu den Problemen bei der Emotionsregulierung bei Menschen mit ADHS bei.
Da es sich bei ADHS um eine entwicklungsbedingte Störung handelt, manifestieren sich die Symptome Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität meist in der Kindheit, also vor dem Alter von 12 Jahren.
Im allgemeinen werden drei Subtypen von ADHS unterschieden: 1) kombiniert, 2) vorwiegend unaufmerksam und 3) vorwiegend hyperaktiv oder impulsiv. Jeder Subtyp umfasst einen leichten, mittleren oder schweren Schweregrad. Eine vollständige ADHS-Diagnose gibt Aufschluss über das klinische Erscheinungsbild und den Schweregrad der Störung.1
Die Diagnose von ADHS kann aufgrund von geschlechtsspezifischen Unterschieden, Symptomausprägungen, kulturellen Implikationen und der Verwechslung von Symptomen mit anderen Erkrankungen oft sehr schwierig sein. ADHS wird bei Männern häufiger diagnostiziert als bei Frauen, mit einem Verhältnis von etwa 2:1 bei Kindern und 1,6:1 bei Erwachsenen. Bei Frauen mit ADHS treten überwiegend Unaufmerksamkeitsmerkmale auf.5 Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden deuten jedoch heute darauf hin, dass die unterschiedliche Prävalenzrate bei den Geschlechtern auf unterschiedliche Ausprägungen zurückzuführen sein könnte, die durch biologische Faktoren und gesellschaftliche Geschlechterrollen stark beeinflusst werden. Der ADHS-Symptomatik mangelt es häufig an Kontinuität, da sich die Symptome im Laufe der Entwicklung in veränderter Form manifestieren können.

Herkömmliche Therapieformen: Ritalin und Co.
Nachdem ein Arzt die Diagnose ADHS / ADS gestellt hat, wird meist eine sogenannte multimodale Therapie angewandt, die aus verschiedenen Ansätzen zusammengesetzt ist. Hierzu gehören Verhaltenstherapie, im Jugendalter Elterntraining und heilpädagogische Maßnahmen.
Im Rahmen einer medikamentösen Behandlung wird häufig Methylphenidat (meistens in Form von Ritalin oder Medikinet) verwendet. Dieses Medikament gehört zur Gruppe der Amphetamine. Es soll dazu beitragen, die geistige Leistungsfähigkeit zu steigern, indem es die Konzentration und das Kurzzeitgedächtnis verbessert. Des Weiteren kann es dazu beitragen, aggressives Verhalten zu reduzieren und die Stimmung zu erhellen. Die Verwendung von Medikamenten wie Ritalin zur Behandlung von ADHS kann verschiedene Nebenwirkungen mit sich bringen. Dazu gehören mögliche körperliche Reaktionen wie Schlafstörungen, Appetitverlust, Übelkeit und Kopfschmerzen. Psychische Nebenwirkungen wie Nervosität, Reizbarkeit, Ängstlichkeit und Stimmungsschwankungen sind ebenfalls möglich. Verhaltensänderungen wie Unruhe, aggressives Verhalten oder Tics können auftreten. Langfristige Auswirkungen auf das Wachstum von Kindern sind ebenfalls im Fokus der Untersuchung.
Sehr interessant ist, dass der vermehrte Drogenkonsum von ADHS-Patienten von manchen sogar als Nebenwirkung oder Langzeitfolge der Medikation mit Methylphenidat angesehen wird.7
Cannabis bei ADHS: Studien nicht eindeutig
In den letzten Jahren ist das Thema Cannabis immer bekannter geworden, weshalb es mehr wissenschaftliche Studien dazu gibt. In mehreren Übersichtsarbeiten wurde das therapeutische Potenzial von medizinischem Cannabis bei psychiatrischen Erkrankungen untersucht, aber die meisten Belege sind nach Aussage mehrerer Experten nach wie vor unzureichend, da sie entweder aus Tiermodellen stammen, während die wenigen Humanstudien oft nicht streng genug seien und oft nur kleine Stichprobengrößen aufweisen.1

Personen mit ADHS verwenden Cannabis häufig als eine Art Bewältigungsstrategie bzw. Selbstmedikation. Eine Analyse von mehreren Online-Quellen ergab, dass Cannabis in 25 % der untersuchten Beiträge als wirksam bei ADHS-Symptomen angesehen wird, während 8 % auf seine Schädlichkeit hinwiesen [8]. Der primäre Messwert war die kognitive Leistung, gemessen mit einem quantitativen Verhaltenstest, der keine statistisch signifikanten Unterschiede (aber auch keine Beeinträchtigung der Leistung!) in der aktiven Gruppe zeigte. Der zweite Parameter bezog sich auf emotionale Belastungssymptome. Trotz der Einschränkungen dieser Studie liefert sie Belege für die Theorie, dass viele mit ADHS diagnostizierte Personen sich mit Cannabis unbewusst selbst therapieren, sich dabei jedoch oft nicht medizinische begleiten lassen. Eine mögliche Anwendung von Cannabis in der ADHS-Behandlung erfordert jedoch weitere Untersuchungen des Endocannabinoidsystems, da viele Studien zeigen, dass Cannabis die Symptome der Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität auf lange Sicht verschlimmern kann. Tatsächlich hat sich aber gezeigt, dass CBD eine sinnvolle Ergänzung zu einer ADHS-Standardtherapie sein kann. Auch hier sind die Ergebnisse aber teilweise nicht eindeutig.9 Grundlegen lässt sich aber sagen: Personen mit ADHS sollten insgesamt häufiger CBD zu sich nehmen, beispielsweise durch die Wahl von ausgeglichenen Sorten mit einem erhöhten CBD-Gehalt.
Besonders bei Jugendlichen mit ADHS sollte man genau darauf achten, dass Cannabis Auswirkungen auf das körpereigenen, sich noch in Entwicklung befindende Endocannabinoidsystem hat. Eine Störung des Systems kann die natürlichen Belohnungsmechanismen beeinträchtigen, die die täglichen Aktivitäten steuern, was zu schwerwiegenden Folgen führen kann.10 Es ist daher sehr wichtig, den Konsum von Cannabis immer mit einem Arzt abzusprechen, auch wenn er illegal stattfindet. Ärzte können über die Folgen aufklären und möglicherweise Alternativen und weitere Beratungsmöglichkeiten anbieten.
Selbsttherapie nicht empfohlen
Es ist leider seit vielen Jahren ein bekannter Fakt: Personen mit ADHS haben öfter Suchtprobleme, beginnen im Durchschnitt bereits früh mit dem Rauchen von Zigaretten, missbrauchen Drogen häufiger als Personen ohne ADHS und trinken häufiger Alkohol. Die Gründe hierfür sind vielseitig und nicht eindeutig geklärt: Manche sehen das “sensation seeking”, also das Suchen nach neuen Eindrücken als Ursache, andere machen die kurzzeitige Entspannung und Ablenkung dafür verantwortlich.11 Dazu kommt, dass die typischen Medikamente, Methylphenidat und Amphetaminsulfat, selbst ein Missbrauchsrisiko in sich tragen: Methylphenidat blockiert als gewünschte Wirkung in erster Linie die Dopamintransporter und führt so über längere Zeit zu einer Zunahme des extrazellulären Dopamins im Striatum. Die Einnahme der Substanz stimuliert also direkt das Belohnungszentrum. Glücklicherweise zeigte sich aber in Studien: Besonders bei Kindern und jüngeren Anwendern haben die typischerweise verschriebenen Medikamente den Effekt, dass insgesamt weniger Drogenmissbrauch betrieben wird. Dies wird jedoch nicht mit der direkten Wirkung der Medikamente erklärt, sondern eher damit, dass die Patienten, die adäquat behandelt werden, weniger Probleme in der Schule und im sozialen Alltag haben, was beides typische Auslöser einer Drogensucht sein können.
Dies sollte jedoch keinesfalls so verstanden werden, dass die bei ADHS verschrieben Medikamente “ungefährlich” sind: Die Einnahme kann starke Nebenwirkungen auslösen, darunter pulmonale Hypertension, Depressionen, Halluzinationen, oder Angststörungen.
Auch hier zeigt sich: Eine unabgesprochene Selbsttherapie, sei es mit Cannabis oder den richtigen, dafür sonst angewendeten Medikamenten wie beispielsweise Ritalin, ist kein Garant für eine Besserung der Symptome! Wichtig ist, so wird es auch von allen Fachleuten empfohlen, möglichst viele Therapieansätze zu kombinieren, darunter Beratungsgespräche, Gruppentherapien und medikamentöse Behandlung.
Sie haben den Verdacht, dass Sie AD(H)S haben? Zögern Sie nicht zu einem Experten in Ihrer Region zu gehen, und sich, auch im Erwachsenenalter, diagnostizieren zu lassen!
Weitere Informationen und Links finden Sie beispielsweise hier:
https://www.adhs-infoportal.de/
https://www.adhs-ratgeber.com/
https://www.adhs-deutschland.de/unser-angebot/selbsthilfegruppen/suche
Kommentare