Für viele Menschen ist die Tatsache, dass Cannabis als Medizin eingesetzt wird, immer noch neu und ungewohnt. Aber die Anwendung von Medizinalcannabis hat in den letzten Jahren in Deutschland stark an Anerkennung gewonnen. Insbesondere bei einigen spezifischen Krankheiten hat sich gezeigt, dass medizinisches Cannabis eine wirksame und sichere Alternative zu herkömmlichen Medikamenten sein kann. In diesem Artikel werden wir uns auf drei Krankheiten konzentrieren, bei denen medizinisches Cannabis verordnet wird und den Patienten zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität verhelfen kann.
Medizinisches Cannabis auf Rezept: Ergebnisse der Begleiterhebung
Seit dem 10. März 2017 gilt das “Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften”, das den Weg für die Verschreibung von Cannabisarzneimitteln deutlich vereinfacht hat. Gleichzeitig wurde dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufgabe übertragen, eine nicht-interventionelle Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durchzuführen.
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Gemäß gesetzlicher Vorgaben wurde die Begleiterhebung am 31.03.2022 abgeschlossen, die Ergebnisse der Umfrage sind öffentlich einsehbar und geben Aufschluss darüber, wie oft und für welche Krankheitsbilder Cannabis verschrieben wurde, welche Fachrichtung an Ärzten es häufig verschrieben haben und welche Art von Cannabismedikamenten, beispielsweise Blüten oder Extrakte, bei welchem Krankheitsbild eingesetzt werden.
Bei welchen Krankheiten werden cannabinoidhaltige Medikamente verschrieben?
Medizinisches Cannabis: Einsatz bei Schmerzen
Die mit Abstand häufigste Diagnose, die in der Begleiterhebung erfasst wurde, sind “Schmerzen”: Über 75% aller Verschreibungen gehen an Personen, deren Diagnose mit Schmerzen zu tun hat, beispielsweise Migräne oder chronische Nervenschmerzen.
Erkrankung bzw. Symptomatik | Fallzahl gesamt | Anteil in % aller Fälle (16809) | Anteil in % aller Fälle mit Cannabisblüten (2773) | Anteil in % aller Fälle mit Cannabisextrakt (1351) | Anteil in % aller Fälle mit Dronabinol (10463) | Anteil in % aller Fälle mit Sativex® (2188) |
Schmerz | 12842 | 76,4 | 66,8 | 88,8 | 78,0 | 73,5 |
Neubildung | 2434 | 14,5 | 10,5 | 8,1 | 18,0 | 5,9 |
Spastik | 1607 | 9,6 | 13,9 | 3,8 | 7,1 | 19,7 |
Anorexie/Wasting | 852 | 5,1 | 3,7 | 1,8 | 6,7 | 1,2 |
Multiple Sklerose | 989 | 5,9 | 12,5 | 3,2 | 4,2 | 7,3 |
Übelkeit/Erbrechen | 376 | 2,2 | 0,8 | 0,9 | 3,1 | 0,5 |
Depression | 471 | 2,8 | 4,7 | 2,8 | 2,4 | 2,3 |
Migräne | 332 | 2,0 | 2,9 | 2,9 | 1,6 | 2,2 |
ADHS | 163 | 1,0 | 5,2 | 0,2 | 0,1 | 0,4 |
Appetitmangel/ Inappetenz | 198 | 1,2 | 0,8 | 0,3 | 1,6 | 0,2 |
Darmkrankheit, entzündlich | 182 | 1,1 | 3,2 | 1,0 | 0,6 | 1,0 |
Epilepsie | 157 | 0,9 | 0,9 | 1,0 | 1,0 | 0,6 |
Tic-Störung inkl. Tourette-Syndrom | 105 | 0,6 | 1,5 | 0,8 | 0,2 | 1,2 |
Restless-Legs-Syndrom | 165 | 1,0 | 0,9 | 1,3 | 0,9 | 1,5 |
Insomnie/ Schlafstörung | 150 | 0,9 | 1,8 | 0,7 | 0,8 | 0,5 |
Cluster-Kopfschmerz | 99 | 0,6 | 1,3 | 0,5 | 0,3 | 1,1 |
Bereits seit den 1970er Jahren wird die Rolle von Cannabinoiden in diesem Zusammenhang daher wissenschaftlich beobachtet, da die Wirkmechanismen sich von konventionellen Antiemetika (Medikamente zur Unterdrückung von Übelkeit und Brechreiz) unterscheiden.
Doch auch in Übersichtsstudien zur bisherigen Forschungslage bleiben nach wie vor einige Unklarheiten: Während einige Autoren medizinischem Cannabis eine wissenschaftlich belegte Wirkung (Evidenz) bei Übelkeit durch Chemotherapie zuschreiben, können andere Studien die Therapie mit Cannabinoiden bisher nicht empfehlen.2
Die Analyse verschiedener systematischer Übersichtsarbeiten zu medizinischem Cannabis bei Schmerzen offenbaren noch einige Unsicherheiten. Am ehesten wissenschaftlich belegt ist die Wirkung bisher bei neuropathischen Schmerzen (auch: Nervenschmerzen). Außerdem scheint Cannabis als Medizin bei krebsbedingten Schmerzen einer Placebobehandlung überlegen zu sein. Bei akuten postoperativen Schmerzen, also nach einer OP oder bei durch einen Unfall verursachten Schmerzen, lässt sich kein größerer Nutzen von Medizinalcannabis gegenüber Placebos feststellen. Eine Studie legt sogar nahe, dass Cannabis das Schmerzempfinden nach einer OP verstärken kann.3
Medizinisches Cannabis: Einsatz bei Multipler Sklerose
Eine Übersichtsarbeit zu Schmerzen bei Multipler Sklerose von 2017 konnte keine statistisch signifikanten Unterschiede gegenüber einer Placebobehandlung nachweisen. Man vermutet jedoch, dass Cannabis die Mobilität und das Wohlbefinden von MS-Patienten verbessern kann. Es liegen jedoch insgesamt zu wenige Studien vor, um eindeutige Empfehlungen ableiten zu können.4,5
Interessant ist aber, dass Cannabis, im Gegensatz zu anderen Medikamenten, sehr wenige Nebenwirkungen hat und daher als sichere Ergänzung zu einer bestehenden Therapie funktionieren kann.
Medizinisches Cannabis: Einsatz bei Spastiken
Cannabis wird häufig zur Behandlung von Spastiken verordnet. Ob Parkinson, Tourette-Syndrom oder andere Ursachen, in experimentellen Studien mit Tiermodellen konnten Cannabinoide Spastik und Tremor verbessern. Eine Verbesserung des Tremors konnte auch bereits bei Patienten bestätigt werden. Auch MS-Patienten mit Spastik profitierten in ersten klinischen Pilotstudien von der THC-Applikation.6,7
Die Wirkung von medizinischem Cannabis ist subjektiv teils besser als es wissenschaftlich nachweisbar ist: In einer 2004 durchgeführten Studie mit 630 Teilnehmern konnte nach wissenschaftlichen Maßstäben kein Behandlungseffekt nachgewiesen werden. Trotzdem wurde die Gehzeit für eine Strecke von 10 Metern “signifikant gesenkt” und einzelne Teilnehmer berichteten von einer subjektiven Verbesserung ihrer Symptome.8
Fazit: Potenziell hilfreich, aber unerforscht!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Cannabis auf jeden Fall gute Möglichkeiten bietet, um mehrere Krankheiten und Symptome damit zu behandeln. Die bisherigen Studien zeigen aber, dass Cannabis kein Allheilmittel ist und daher immer mit Bedacht eingesetzt werden sollte.
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